Interview mit der Ernährungsexpertin Silke Restemeyer zum Thema Übergewicht, Gewichtsreduktion und detaillierte Hinweise zu den verschiedenen Trenddiäten.

Silke Restemeyer

Dipl.-Oecotrophologin,

Deutsche Gesellschaft für Ernährung

So dick war Deutschland noch nie

Die Zahl der Übergewichtigen nimmt in Deutschland weiterhin zu. 59 Prozent der Männer und 37 Prozent der Frauen sind übergewichtig. In der Altersklasse der Berufstätigen ist das Dicksein heutzutage so weit verbreitet, dass es keine Ausnahme mehr darstellt, sondern der Normalzustand ist. Männer sind besonders häufig zu dick: Am Ende ihres Berufslebens drei von vier Männern übergewichtig. Bei den Frauen im gleichen Alter ist es mehr als jede zweite. Aber es gibt auch gute Nachrichten: Bei Kindern, die eingeschult werden, stagnierte in den letzten Jahren das Auftreten von Übergewicht bzw. war sogar leicht rückläufig. Diese Zahlen veröffentlichte die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) in ihrem 13. Ernährungsbericht.
„Viele Menschen in Deutschland essen zu viele kalorienreiche Lebensmittel und bewegen sich zu wenig. Preiswerte und schmackhafte Lebensmittel und Getränke mit hohem Energiegehalt sind nahezu überall verfügbar – egal ob zu Hause oder unterwegs. Und diese Faktoren machen es schwer, normalgewichtig zu bleiben“, sagt Prof. Helmut Heseker, ehemaliger Präsident der DGE. 
Über einen längeren Zeitraum können überschüssige Pfunde zu Krankheiten führen. Die Ernährungsexpertin Silke Restemeyer von der DGE erklärt, welche Folgen Übergewicht für Körper und Psyche hat und warum es vielen so schwer fällt, dauerhaft ihr Gewicht zu reduzieren.

Warum essen wir zu viel und oft das Falsche?

1.    Welche Folgen für die Gesundheit kann Übergewicht haben?
„Übergewicht bzw. Adipositas birgt das Risiko für weitere Erkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 2, Bluthochdruck, Gicht, koronare Herzkrankheit, Schlaganfall oder Störungen des Fett- und Kohlenhydratstoffwechsels. Mit steigender Körperfettmasse steigt auch das Risiko für Krebserkrankungen wie Speiseröhren-, Bauchspeicheldrüsen-, Dick- und Mastdarmkrebs sowie Nieren-, Brust- und Gebärmutterkrebs. Das hat unter anderem weitreichende ökonomische Konsequenzen für die nationalen Gesundheitssysteme.“

2.    Wieso essen wir eigentlich mehr, als unser Organismus braucht?

„Wir leben in einer Gesellschaft, in der energiereiche Lebensmittel im Überfluss und nahezu überall verfügbar sind. Dazu kommt der geringe Preis der Lebensmittel. Essen und Trinken sind heute nicht mehr Mittel zum Zweck, sondern bieten gleichzeitig Genuss, Lust und Kommunikation.

Hinzu kommt unsere träge Lebenswiese. Aufgrund des technischen Fortschritts bewegen wir uns zunehmend weniger. So wird beispielsweise viel zu oft der Fahrstuhl oder die Rolltreppe genutzt anstatt Treppen zu steigen. Auch das Beschaffen von Lebensmitteln erfordert nicht viel Mühe, da der nächste Supermarkt direkt um die Ecke zu finden ist. In der Konsequenz bedeutet das, dass wir mehr essen, als wir verbrennen.“

3.    Warum fällt es vielen von uns schwer, dauerhaft abzunehmen?

„Es ist tatsächlich nicht leicht, dauerhaft abzunehmen und vor allem, das neue Gewicht zu halten. Extrem kalorienarme und einseitige Diäten führen zwar zum rapiden Abnahmeerfolg, meist aber auch zu anschließender Gewichtszunahme. Das liegt u.a. daran, dass unser Körper seit Menschengedenken darauf programmiert ist, Vorräte für Hungerzeiten anzulegen, und diese auch zu verteidigen. Nach einer Diät hat sich der Körper daran gewöhnt, mit weniger Energie auszukommen. Fallen wir wieder in alte Gewohnheiten zurück, steigt auch das Gewicht wieder.

Stattdessen empfiehlt die DGE eine langfristige Gewichtsabnahme, basierend auf einer Kombination aus Ernährungsumstellung, Verhaltensänderung und einer Steigerung der körperlichen Aktivität. Eine vollwertige Ernährung sowie ca. 30 – 60 Minuten Bewegung pro Tag gehören zusammen und helfen, das Gewicht zu regulieren.“

4.    Schokolade, Kuchen, Eis. Süßes ist Genuss, Entspannung und manchmal auch Trostspender. Warum können wir ganz besonders den süßen Versuchungen nur schwer widerstehen?
„Wenn Menschen sich häufig mit Süßigkeiten belohnen, wenn es ihnen schlecht geht oder sie Stress gehabt haben, greifen sie irgendwann in belastenden Situationen aus Gewohnheit zu Süßem, beispielsweise zur Schokolade. Wichtig ist, diese Gewohnheiten zu hinterfragen. Braucht man in dieser Situation unbedingt Süßes, oder lässt sich der Stress auch anders bekämpfen, zum Beispiel mit einem Spaziergang, mit einer Tasse Lieblingstee, schöner Musik, etc.

Die Vorliebe für den süßen Geschmack ist übrigens angeboren. Wie süß ein Lebensmittel empfunden wird, hängt jedoch allein von der Erfahrung ab. Gewöhnen Sie sich an mäßig gesüßte Lebensmittel. Um die Süßschwelle zu senken, können Sie, zum Beispiel beim Zubereiten von Kuchen und Süßspeisen, die angegebene Zuckermenge reduzieren.

Mit natürlich süßen Lebensmitteln wie frischem oder getrocknetem Obst oder Milchprodukten mit pürierten Früchten, lässt sich das Bedürfnis nach Süßem oft schon befriedigen. Sie liefern darüber hinaus eine Reihe wertvoller Inhaltsstoffe wie Vitamine und Mineralstoffe.

Gehen Sie insgesamt bewusst mit Süßigkeiten um und genießen diese als etwas Besonderes. Generelle Verbote machen Süßes dagegen besonders reizvoll.“

5.    Diätversprechen zur Bikinifigur haben Hochsaison. 5:2-Fasten, Entgiftungsdiäten, Steinzeitdiät, Trennkost oder die HCG-Diät zählen in diesem Sommer zu den Trend-Diäten. Wie erfolgreich sind sie?

„Solch kurzzeitige Diäten wirken nicht dauerhaft und gefährden eine ausgewogene Nährstoffzufuhr. Schnell viel abnehmen und genauso schnell wieder das Ausgangsgewicht oder sogar mehr erreichen – das charakterisiert diese Diäten und kann zum so genannten Jojo-Effekt führen.

Abnehmen kann nur derjenige, der weniger Kalorien zuführt als der Körper verbraucht. Um das Körpergewicht zu halten, müssen die Energiezufuhr und der Energieverbrauch ausgeglichen sein. Bei vielen Diäten liegt die Energiezufuhr unter 1 000 kcal pro Tag. Diese kalorisch knappe Kost führt zwar dazu, dass man in kürzester Zeit relativ viel Gewicht verliert. Der hohe Gewichtsverlust beruht aber zu einem großen Teil auf Wasserverlusten und dem Abbau von Muskelprotein. Die gewünschte Verringerung des Fettgewebes hält sich in Grenzen.“

Beim Intervallfasten, wie dem „5:2-Fasten“, wird an einem oder mehreren Tagen in der Woche gefastet. Meist werden an den Fastentagen nur Getränke wie Tee oder Wasser zugeführt. Wie allerdings die Ernährung sowie die Energiezufuhr an den restlichen Tagen aussehen soll, bleibt jedem selbst überlassen. Die DGE hält diese Methode für nicht sinnvoll, um langfristig das Gewicht zu regulieren. Eine Umstellung zu einer gesundheitsfördernden Ernährung erfolgt hierdurch nicht.

Entgiftungsdiäten wie Detox sind zurzeit in Mode. Durch den Verzicht auf verarbeitete Lebensmittel, Zucker, Weißmehl, Gluten oder Hefe soll das Gewicht reduziert werden. Gleichzeitig baue der Körper schädliche Substanzen wie Alkohol, Medikamente oder Umweltgifte ab. Tees oder Massagen begleiten diese Diät. Es gibt aber keine wissenschaftlichen Beweise, dass solche Maßnahmen die Ausscheidung von Giftstoffen fördern.
Die Theorie der Steinzeiternährung, Paleo Diet, geht davon aus, dass sich der menschliche Organismus an das Nahrungsumfeld der Altsteinzeit, des Paläolithikums, genetisch angepasst hat. Hauptsächlich wird hierunter eine Ernährung mit vielen Wildpflanzen und Wildfleisch verstanden. Die Annahme, dass nur die Gene das Ernährungsverhalten prägen, ist zu einseitig. Viele Faktoren wie das Erlernen bestimmter Verhaltensmuster, die Prägung durch das soziale Umfeld sowie physiologische Mechanismen beeinflussen unsere Ernährungsweise. Zudem variierte die Ernährung in der Steinzeit stark, so dass nicht von „der“ Steinzeiternährung gesprochen werden kann.
Ziel von Insulin-Trennkost-Diäten ist eine Gewichtsabnahme durch eine möglichst geringe Insulinausschüttung. Meist werden drei Mahlzeiten am Tag eingenommen, die entweder Kohlenhydrate oder Proteine enthalten. Abends werden kohlenhydratarme Lebensmittel verzehrt, um die nächtliche Insulinausschüttung zu drosseln. Aus ernährungswissenschaftlicher Sicht gibt es keinen Grund, Kohlenhydrate und Proteine getrennt zuzuführen, da der Körper beides gleichzeitig verdauen kann. Auch fehlt der Nachweis, dass eine geringe nächtliche Insulinausschüttung die Gewichtsabnahme dauerhaft fördert.
Beim Basenfasten dürfen nur Lebensmittel verzehrt werden, die als basisch gelten. Wichtige Lebensmittel wie Getreide- und Milchprodukte werden in zu geringen Mengen empfohlen, da sie als „säureüberschüssig“ gelten. Eine durch die Ernährung verursachte Übersäuerung ist bei Gesunden jedoch nicht zu befürchten. Verschiedene Puffersysteme unseres Körpers regulieren die Säure-Basen-Konzentration im Blut und halten sie konstant. Zusätzliche „basenfördernde“ Nahrungsergänzungsmittel einzunehmen ist unnötig.
Humanes Choriongonatropin (HCG) ist ein Hormon, das während der Schwangerschaft gebildet wird. Die HCG-Diät besteht aus einer Kost mit unter 500 kcal pro Tag und der Einnahme von HCG in Form von Tropfen, Pastillen oder Tabletten. HCG soll hierbei das Bauchfett abbauen. Der wissenschaftliche Nachweis fehlt allerdings. Zudem kann eine solche Diät den Hormonhaushalt negativ beeinflussen. Aufgrund einer zu geringen Energie- und Nährstoffzufuhr kann es zu Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Kraftlosigkeit, Leistungsabfall und Kreislaufstörungen kommen.“

-
###DRUCK###